Die Geschichte vom weinenden Kamel

Wußtest du, dass es ein uraltes mongolisches Musikritual gibt, welches Tiere derart berührt, dass sie anfangen zu weinen? Nein? Dann erzähle ich dir jetzt die Geschichte vom weinenden Kamel. 

Sie handelt vom Leben einer Nomadenfamilie, die mit ihrer Schafherde und Kamelen in der Wüste Gobi lebt. Wie bei Nomaden dieser Gegend üblich, wohnen alle zusammen in einer Jurte. Einige Kamelmütter haben Junge bekommen und kümmern sich liebevoll um die Kleinen. Eins der Kamele ist von der Geburt seines neugeborenen Babys allerdings überhaupt nicht begeistert. Die Geburt war so anstrengend, dass sie dermaßen verstört ist, dass sie das Kleine einfach nicht akzeptieren kann und ihm auch keine Milch geben will. Tagelang weigert sie sich hartnäckig, ihr Junges zu stillen und das Kamelbaby weint die ganze Zeit und macht alle verrückt. Nichts hilft, um die Kamelmutter davon zu überzeugen, ihr Junges an die Zitzen zu lassen.

Schließlich erinnert sich die Familie an eine uraltes mongolisches Ritual: Es ist in der Mongolei eine alte Tradition, ein Musikritual mit einer Pferdekopfgeige abzuhalten, um Tiere – insbesondere Kamele von einem Trauma zu befreien und ein Lied dazu zu singen. Also wird der Sohn der Familie in die Stadt geschickt, um einen Musiker zu finden, der dieses Ritual abhalten kann. Als dieser schließlich in der Wüste eintrifft und sich die Familie samt Geiger um das Kamel und dessen Junges versammelt, kann das Ritual beginnen:  

seelenmelodie.net:Mongolei

Der Geiger spielt auf der Pferdekopfgeige, diesem traditionellen zweisaitigen Instrument der Mongolen. Seinen Namen hat die Geige von der Formung am Ende des Halses, der einem Pferdekopf nachgestaltet ist. Der Klang ist vergleichbar mit einer Violine oder eines Cellos. Wie lautet der Text von dem Lied, das beim Ritual gesungen wird? – es hat keinen Text – nur vier Buchstaben: „Hoos“. Es wird die ganze Zeit nur dieses Wort Hoos“ wiederholt. Das Wort an sich hat keine Bedeutung. Nur eine Wirkung. Jedes Tier hat seinen Laut. Bei Schafen verwendet man „Toig“. Vielleicht ist es der Laut, den es als Nähe wahrnimmt. Die Menschen dort haben das immer schon so gemacht und so wurde es zur Tradition – weil es wirkt! Und es ist überliefert, dass es fast immer wirkt: durch Musik und Gesang wird das schwer zu ertragende Trauma der Trennung von Mutter und Kind bei Tieren überwunden und geheilt.

Das Ritual hat also begonnen, der Geiger spielt, die Familie singt und die störrische Kamelmutter und ihr halb verhungertes Junges sind im Kreise dieser Zeremonie. Man denkt sich so: Naja mal sehen … und wie das bei Ritualen so ist: es dauert… Und dann, das Wunder: die Kamelmutter fängt an zu weinen! Eine Träne nach der anderen kullert über ihr Gesicht: die Kamelmama wird weicher, der störrische Gesichtsausdruck schwindet und sie lässt ihr Kind an sich heran, um es mit ihrer Milch zu füttern – sie nimmt es an, der Bann ist gebrochen! Eine Heilung, eine Transformation mittels Musik! Alle in der Familie sind glücklich und das Kamelbaby mit dem weißen Fell auch.

seelenmelodie.net:Gobi

„Märchenhafte Geschichte“ meint das Lexikon des internationalen Films. „Halb dokumentarisch, halb inszeniert, die mit betörenden Bildern von der Wüste in langsamen Tempo erzählt wird. Dabei geht es auch um Menschen in einer verlassenen Gegend, die zwischen Tradition und Fortschritt ihren Weg in die Zukunft suchen.“

Dieses Ritual mit der Pferdekopfgeige und dem Gesang ähnlich einem Mantra und natürlich die ganze Geschichte vom weinenden Kamel wurde 2003 auf dem Filmfest München in Form eines Dokumentarfilms uraufgeführt. Buch und Regie stammen von der aus der Mongolei stammenden Regisseurin Byambasuren Dada und dem italienischen Regisseur und Kameramann Luigi Falorni. 

Gedanken und Eindrücke des Kameramannes Luigi Falorni zu dieser besonderen Geschichte, die nicht nur Kamele zum weinen brachte: „Abgesehen von der Kuriosität, ein von Musik gerührtes Kamel in Tränen zu sehen, war es das Universelle an dem Thema, das mich besonders interessierte. Der Film erzählt die Geschichte einer Rettung, der Stoff für mehr bietet. Das kleine ausgehungerte Kamel ist jeder von uns: entfremdet, stets auf der Suche nach Geborgenheit und Zugehörigkeit. Sein Schicksal ist der sichtbare Beweis, dass kein Leben ohne Liebe möglich ist.“

Welch wunderbarer Film! Und es gibt noch viele weitere Belege dafür, wie heilsam Musik sein kann. Willst du mehr erfahren? Dann trag dich unter diesem Artikel  in meinen Verteiler ein und du bekommst weitere wunderbare Beispiele und Geschichten rund um die heilsame Wirkung von Musik, die Balsam für die Seele sein kann, nicht nur für Tiere!

Und hier noch ein spektakuläres Musikvideo der mongolischen Band HU, auf dem man eindrucksvoll eine wunderschöne Pferdekopfgeige und andere traditionelle mongolische Instrumente sehen kann, diesmal im moderneren Kontext! Gegründet wurde die Band im Jahr 2016 in Ulaanbaatar. Im Herbst des Jahres 2018 veröffentlichten The Hu zwei Videos im Internet (Yuve Yuve Yu im September und Wolf Totem im November).